Walkenrieds Umgebung ist reich an beeindruckenden Bauten und Ingenieurleistungen gerade aus dem Mittelalter. Die Klosterteiche und ihre überlegte Anordnung, die Verbindung der Teiche untereinander belegen das Können der Zisterzienser oder vielmehr der von ihnen beschäftigten Techniker unter den „Laienbrüdern“. Eine andere, sehr bemerkenswerte Leistung in der unmittelbaren Nachbarschaft stellt der ehemalige Klettenberger Mühlgraben dar, an den der Verein für Heimatgeschichte am 16.10. im Rahmen eines von Dr. Karl Schmidt und Fritz Reinboth gestalteten Vortrags erinnerte.
Viel mehr als Erinnern kann man auch nicht, denn der Klettenberger Mühlgraben, konzipiert und angelegt im Mittelalter vielleicht unter tätiger Mithilfe der Walkenrieder, wurde ein Opfer der Zonengrenze oder vielmehr der damit einhergehenden Absperrmaßnahmen der DDR. Das der Abzweigung dienende Wehr lag unmittelbar an der Grenze bei Neuhof, es wurde nach 1961 aufgegeben und somit auch der Mühlgraben seiner Funktion beraubt. Heute ist er weitgehend verschüttet, und auch die Vielzahl der von ihm einst angetriebenen Mühlen besteht nicht mehr. Dabei handelte es sich um ein höchst bemerkenswertes Bauwerk.
Die Burg Klettenberg und der deutlich später entstandene Ort verfügten nämlich, da im Gipskarst gelegen, über keine geeigneten Quellen oder Bäche, mit deren Hilfe Mühlen hätten betrieben werden können. Also kam man auf die Idee, Wasser aus der von Bad Sachsa über Neuhof kommenden Uffe abzuzweigen und über Klettenberg und Holbach der dort vorbei fließenden Ichte zuzuführen. Verwirrend hieran ist, dass die Uffe an dem Punkt, wo das Wehr zur Abzweigung eingebaut wurde, bereits „Sachsengraben“ heißt, während der künstlich angelegte Mühlgraben in Klettenberg selbst wiederum „Uffe“ genannt wurde. Technisch beeindruckend ist die Tatsache, dass zwischen Branderode und Klettenberg eine Wasserscheide zu überwinden ist. Mit viel Mühe und unter Ausnutzung natürlicher Senken, die es im Gipskarst immer wieder gibt, wurde der Graben über die Wasserscheide hinweg nach Klettenberg geführt und versorgte dort und in Holbach fortan über zehn Mühlen. Mit Hilfe einer Wasserkunst wurde dem Graben auch Wasser entnommen, um es auf einen Berg zu pumpen und so den Ort, die Domäne und das Rittergut mit Brauchwasser zu versorgen. Wie vom Mühlgraben, so existiert auch von dieser „Wasserkunst“ heute fast nichts mehr. Die Mühlen wurden später mit Turbinen versehen, um – in geringen Mengen – Strom zu erzeugen; auch das Klettenberger Gipswerk der Firma Börgardts nutzte eine der Mühlen für ihre Mahlvorgänge. Dem dahinter liegenden Steinbruch viel die alte Druckwasserleitung von der „Wasserkunst“ zum Hochbehälter zum Opfer. Heute ist der Mühlgraben, einst Lebensader von Klettenberg, nur noch fragmentarisch vorhanden und zu einer Kloake verkommen. Was sehr bedauerlich ist, denn, wie gesagt, es handelt sich um einer sehr beachtliche vermessungs- und bautechnische Leistung der Vergangenheit.
Fritz Reinboth steuerte eine Anekdote zum Thema Mühlgraben bei, denn bei der Neuanlage des Wehrs im 17. Jahrhundert gab es Streit zwischen Neuhof (zum Herzogtum Braunschweig gehörend) und dem inzwischen preußischen Klettenberg, der bis hinauf zu Herzog Carl I. und König Friedrich Wilhelm I. drang. Allerdings ist wohl davon auszugehen, dass die beiden Potentaten sich nicht persönlich mit der Angelegenheit befassten, die dann auch friedlich beigelegt wurde. Die exzessive Entnahme des Wassers aus dem Sachsengraben (der Uffe) führte übrigens dazu, dass die unterhalb des Wehrs liegenden Orte Branderode, Obersachswerfen und Gudersleben ohne Mühlen auskommen mussten. Eine lebhafte Debatte über die Energieversorgung einst und jetzt beendete den gut besuchten Vortragsabend. Er gibt vielleicht Anregung, sich die Klettenberger Mühlgrabengeschichte einmal vor Ort anzusehen.
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