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Ausstellungseröffnung und Vereinsjubiläum: Viel Besuch beim Geschichtsverein Walkenried

(von Michael Reinboth)

Am 24.02. lud der Geschichtsverein in Walkenried zur Eröffnung seiner Ausstellung über Kreuzgangbilder ein und feierte damit auch seinen 60. Geburtstag. Das ließen sich die Walkenrieder nicht zweimal sagen und bewiesen damit erneut, wie sehr sie die Möglichkeit schätzen, die alte Grundschule mit ihren Räumlichkeiten für Zusammenkünfte nutzen zu können: „Wir konnten zur Vernissage über 70 Besucherinnen und Besucher begrüßen, und sehr viel mehr hätten auch nicht hineingepasst“ freute sich Michael Reinboth, der dem Geschichtsverein seit 10 Jahren vorsteht und zusammen mit Peter Piontek und Claus Koch die Ausstellung und die Feier organisiert hat.

Volles Haus bei der Ausstellungseröffnung (Foto Schirin Fatemi). Michael Reinboth konnte neben der Künstlerin Schirin Fatemi auch Wendy Eixler vom ZisterzienserMuseum Kloster Walkenried begrüßen (Foto Julia Hartgen).

Während Schirin Fatemi, die Malerin des großen Kreuzgangbildes, Ihren Werdegang und Ihre Gedanken zum Bild selbst vortrug, stelle Meike Helbing ihren Großvater Karl Helbing und sein Wirken für Walkenried vor. Michael Reinboth übernahm es dann, dem Publikum weitere in der Ausstellung vertretene Künstlerinnen und Künstler wie Anneliese Presse, Casimir Ballenstedt und Walther Reinboth sen. vorzustellen. Es ist dem Verein gelungen, mit Hilfe einiger Leihgeber eine sehr breite Palette von Darstellungen des Walkenrieder Kreuzgangs zusammenzutragen, die zeigt, in welch beachtlichem Umfang dieser Teil des Klosters die Künstlerinnen und Künstler angelockt und inspiriert hat. „Der Kreuzgang ist ein Bauwerk, dass ohne tiefe Gläubigkeit nicht hätte entstehen können. Seine Bedeutung geht weit über die eines Ambientes hinaus – er ist und bleibt in erster Linie ein Zeugnis christlichen Glaubens. Und dieser Glaube hat viele der hier Vertretenen motiviert.“

Im zweiten Teil der Veranstaltung ging es um den Geschichtsverein selbst. „Wir freuen uns, dass wir aus diesem Anlass zahlreiche Vertreter der Kommunalpolitik, von anderen Walkenrieder Vereinen und Institutionen sowie unserer Partner aus Nordhausen, Bad Sachsa und Zorge begrüßen konnten, vor allem aber wieder viele Walkenriederinnen und Walkenrieder, die damit ihre Verbundenheit zu uns zum Ausdruck bringen“ erläutert Reinboth, der bei Kaffee und Kuchen kurz auf die inzwischen 53 Publikationen des Vereins hinwies und nicht vergaß, als Nummer 54 das Jubiläumsbuch für die Walkenrieder Feuerwehr anzukündigen. Der Geschichtsverein deckt eine breite Themenpalette ab, die vom Kloster über die anderen Baulichkeiten und die Orts- und Industriegeschichte bis hin zur Eisenbahn und zur Karstlandschaft ringsum reicht. Auch wenn die Zahl der Aktiven nicht sehr groß ist, traut man sich noch einige weitere Projekte zu.

Alles belegt! Michael Reinboth berichtet über 60 Jahre Vereinsgeschichte und stellt neue Projekte vor (Foto Meike Helbing)

Walkenrieder Gedenkorte – wo überall hat staatliche Gewalt ihre Opfer gefordert?

Schon 2022 hat der Verein mit dem „Walkenrieder Friedenstag“ auf die Stätten aufmerksam gemacht, an denen Menschen aus vielen Nationen und unterschiedlichen Glaubens oder einfach nur wegen ihres Dranges zur Freiheit Opfer staatlicher Gewalt wurden. Mit dem Projekt „Walkenrieder Gedenkorte“ will er hieran anknüpfen. Vorträge und Exkursionen zur Juliushütte, aber auch nach Zorge und Wieda stehen für 2024 und 2025 auf dem Programm. „Wir glauben, hiermit ein Thema aufzugreifen, welches angesichts der zunehmenden Radikalität in Gesellschaft und Politik ausgesprochen aktuell ist.“

Eine Walkenrieder Geistergeschichte aus dem 19. Jahrhundert

Die zunehmende Digitalisierung mag im Alltag ja nicht immer willkommen sein, bereichert einen aber manchmal doch auf ganz überraschende Art und Weise – wie etwa im Fall einer längst vergessenen, nun aber im virtuellen Raum wieder aufgetauchten Gruselgeschichte mit Bezug zum Harzer Klosterort. Seit vielen Jahren werden alte Bücher aus US-Bibliotheken für das Projekt Google Books Seite für Seite eingescannt und über Portale wie archive.org verfügbar gemacht. Darunter auch eine Sammlung von Geistergeschichten, die von Josephine Barnes Hall vor ziemlich genau 100 Jahren im Jahr 1924 im Namen ihres verstorbenen Vaters A. Oaky Hall an die New York Public Library übergeben wurde.

Das Buch war schon vor einem Jahrhundert antiquarisch: „Ghost Stories collected with a particular view to counteract the vulgar belief in ghosts and apparitions“ (Gespenstergeschichten, die gesammelt wurden, um dem vulgären Glauben in Geister und Erscheinungen entgegenzuwirken) wurde im Jahr 1865 von James Miller in New York verlegt und von dem nicht unbekannten Felix Octavius Carr Darley illustriert (die für uns interessanteste Geschichte erhielt dabei leider keine Abbildung). Es enthält zwanzig Gruselgeschichten, die aber – wie der Titel es bereits vermuten lässt – entgegen dem literarischen Geschmack der damaligen Zeit (man denke nur an Charles Dickens) mit ganz profanen, irdischen Erklärungen enden. Der Titel einer dieser Geschichten (zu finden auf den Seiten 73 bis 80) wird jeden Harzer aufhorchen lassen: „The Ghost of Count Walkenried“ (Der Geist des Grafen von Walkenried). Die Handlung spielt – leider – nicht in Walkenried, sondern in Paris. Hauptdarsteller ist jedoch der junge Sohn und Erbe des „Grafen von Walkenried“, den es als Student an der Universität in Göttingen unter „Herrn Winkelmann“ (hier dürfte mit ziemlicher Sicherheit nicht Johann Joachim Winckelmann gemeint sein, der im 18. Jahrhundert auch nicht in Göttingen lehrte, dort aber Mitglied der Akademie der Wissenschaften war) nach Paris verschlägt, wo der alte Graf viele Jahre als deutscher Botschafter gedient hat. Es erübrigt sich fast zu schreiben, dass es diesen diplomatisch tätigen Walkenrieder Grafen und seinen unglücklichen Sohn nie gegeben hat – vielleicht war es nur der interessant klingende Name „Walkenried“ oder die Reproduktion eines romantischen Gemäldes der Klosterruine, der den unbekannten Geschichtenerzähler dazu inspiriert hat, die fiktive Adelsfamilie hier anzusiedeln.

Nicht nur die Geschichte, sondern gleich das ganze Buch lässt sich hier im englischen Original lesen oder in verschiedenen Formaten herunterladen. Nachfolgend habe ich mich an einer deutschen Übersetzung versucht, die dem Charme und der viktorianischen Sprache des Originals an einigen Stellen ganz sicher nicht gerecht wird, allen nicht-englischsprachigen Leserinnen und Lesern aber zumindest einen Eindruck davon vermittelt, worum es in der Geschichte geht.

In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen!


Der Geist des Grafen von Walkenried

Der junge Graf von Walkenried hatte zur großen Genugtuung seines Vaters einige Zeit lang seine Studien in Göttingen unter der Leitung von Herrn Winkelmann mit Vorteil betrieben. Dann begab er sich auf die Reise [hier dürfte die klassische „grand tour“ europäischer Jungadliger im 18. und 19. Jahrhundert gemeint sein], um seinen Geschmack weiter zu verbessern. Winkelmann, der ihn als sein Freund und Berater begleitete, erkrankte unglücklicherweise in Straßburg und starb dort, noch bevor sie einen Monat fort gewesen waren. In Ermangelung eines Ersatzes für denjenigen, der im wahrsten Sinne des Wortes sein Freund gewesen war, beschloss der junge Graf, seine Reise allein fortzusetzen. Sein Vater war von der Nachricht von Winkelmanns plötzlichem Tod gleichermaßen schockiert und überrascht. Da er jedoch wusste, dass sein Sohn seit Jahren sehr bodenständig war, erhob er keine Einwände gegen dessen Absicht, allein zu reisen. Dementsprechend schrieb er ihm, wiederholte die väterlichen Ermahnungen, die er ihm beim Abschied gegeben hatte, und fügte einen Brief an einen bedeutenden Pariser Bankier bei, mit dem er früher, als er noch Botschafter am französischen Hof war, bekannt gewesen war und den er als seinen Freund betrachtete. In diesem Schreiben bat er den Bankier, seinem Sohn so viel Geld vorzustrecken, wie er benötigen würde, und ihm Empfehlungsschreiben zukommen zu lassen, sobald er die französische Hauptstadt wieder verließ.

Um den Bankier noch deutlicher an ihre frühere Bekanntschaft zu erinnern, übermittelte er in seinem Päckchen eine hübsche goldene Schnupftabakdose mit seinem Porträt, das ein sehr treffendes Abbild war. Es war viele Jahre zuvor in Paris gemalt worden, in seinen jungen Jahren, und hatte eine außerordentliche Ähnlichkeit mit seinem Sohn. Diese Schachtel war ihm von dem Bankier als Andenken geschenkt worden. Er glaubte daher, seinem alten Freund eine Freude machen zu können, indem er ihm einen Blick auf dieses Andenken durch seinen Sohn gewährte, dessen Identität es außerdem beweisen würde.

Bei seiner Ankunft in Paris begab sich der junge Graf in ein sogenanntes Hotel garni, bis sich eine bequemere Unterkunft finden würde. Neben mehreren anderen Ausländern fand er dort zwei Engländer, Brüder, die seine Studienkollegen in Göttingen gewesen waren. Dieser zufällige Umstand sowie die äußerst eleganten Mahlzeiten und Abendessen, die in diesem Haus serviert wurden, und die Gesellschaft vieler hochgebildeter und intelligenter Franzosen, die sich dort täglich einfanden, veranlassten den Grafen, die Ausführung seiner Absicht, eine andere Unterkunft zu suchen, wieder und wieder aufzuschieben.

Einer der Herren, denen der Graf hier beim Abendessen begegnete und für den sein empfindsames Herz bald eine besondere Freundschaft empfand, war der Baron de Vigny. Außergewöhnliche Talente und Fähigkeiten sowie die liebenswürdigsten Eigenschaften machten diesen jungen Mann zu einem reizvollen Begleiter. Es dauerte nicht lange, bis der Graf ohne ihn nicht mehr glücklich sein konnte, oder er ohne den Grafen: daher wurden sie von ihren anderen Bekannten und Freunden „die Unzertrennlichen“ genannt; und dieser Beiname wäre in jeder Hinsicht vollkommen zutreffend gewesen, wenn nicht der Tod, der keine Bindung schätzt, sie nur allzu bald voneinander getrennt hätte.

Bei ihren täglichen geselligen Zusammenkünften waren sie gewohnt, die Flasche sehr zügig herumzuschieben; aber vor allem in der Nacht überschritten sie alle Grenzen. Bei diesen Gelegenheiten fehlte es nicht an den besten und stärksten Weinen. Die Vertrautheit der Franzosen mit der Qualität ihrer einheimischen Erzeugnisse ermöglichte es ihnen, die üblen Folgen dieses Lebenswandels zu vermeiden, denen der deutsche Graf zum Opfer fiel. Er war nie das gewesen, was man einen guten Gesellschafter nennt, und nichts als die Überredungskünste der anderen und der Wunsch, sich dem Rest der Gesellschaft angenehm zu machen, veranlassten ihn, seine gewöhnlichen Grenzen so weit zu überschreiten, dass er ein entzündliches Fieber bekam, das mit seinem Tod enden sollte.

Der Graf, dem es nicht an Geld fehlte und der seine ganze Zeit in Paris mit Vergnügungen und Ausschweifungen verbracht hatte, hatte nicht einmal den alten Freund seines Vaters, den Bankier, aufgesucht, um ihm den Brief zu überbringen und ihm die Schnupftabakdose zu zeigen. Seine unzusammenhängenden Äußerungen während des Deliriums bewiesen, dass diese Nachlässigkeit in den letzten Momenten seines Lebens schwer auf dem Gewissen lastete.

Der Baron de Vigny war ein zu aufrichtiger Freund, als dass er das Krankenbett des leidenden Grafen, mit dem er, als er gesund war, so glückliche Tage verbracht hatte, gemieden hätte. Während seiner Krankheit besuchte er ihn daher sehr oft und schenkte ihm die größte Aufmerksamkeit. Insbesondere ermahnte er die hinzugezogenen Ärzte, nichts zu unterlassen, was die Gefahren der Krankheit abwenden könnte. Er betrachtete diese Aufmerksamkeit mit Recht als den wirksamsten, wenn nicht gar einzigen Beweis seiner Verbundenheit mit dem Grafen; doch leider konnten weder diese Freundschaftsbekundungen noch das ganze Geschick der Ärzte den Patienten nicht retten, und er fiel in jenen Schlaf, aus dem niemand je wiedererwacht.

Der Hoteldirektor ließ den Quartierarzt kommen, um den Verstorbenen zu untersuchen und festzustellen, ob er wirklich tot war. Nach sorgfältigster Untersuchung versicherte er ihm den Tod des Grafen und übergab ihm die Bescheinigung, die in Paris für die Beisetzung einer Person erforderlich ist. Es ist bekannt, mit welcher Eile die sterblichen Überreste der Verstorbenen in dieser Stadt gewöhnlich der Erde übergeben werden; und gemäß dieser Praxis wurde der Leichnam des Grafen kaum vierundzwanzig Stunden, nachdem er seinen letzten Atemzug getan hatte, in den frühen Morgenstunden abtransportiert und dem Grabe zugeführt.

Noch am nächsten Morgen, an dem er beigesetzt wurde, suchte der verstorbene Graf den Bankier persönlich auf, um den Auftrag seines Vaters zu erfüllen, den dieser zu Lebzeiten versäumt hatte. In denselben Kleidern, die er in den letzten Tagen seiner Gesundheit in Paris getragen hatte, und in Begleitung seines treuen und untröstlichen Kammerdieners, begab sich der körperlose Geist des Verstorbenen als der Graf von Walkenried zum Bankier, um ihm seinen lang aufgeschobenen Antrittsbesuch abzustatten.

Der Bankier hatte den Grafen noch nie gesehen; aber selbst wenn dieser seinen Namen nicht genannt hätte, hätte er in dem Geist wahrscheinlich auf den allerersten Blick den Sohn seines alten Freundes erkannt, so auffällig war die Ähnlichkeit mit seinem Vater. Er empfing den Geist mit der ganzen Höflichkeit eines Parisers und lud ihn ein, in sein Arbeitszimmer zu kommen. Hier überreichte ihm der Geist mit größter Feierlichkeit sein Beglaubigungsschreiben und die Schnupftabakdose seines Vaters und fügte einige mündliche Mitteilungen hinzu, die er zu machen beauftragt worden war. Es folgte der folgende Dialog:

Bankier: Mein lieber Graf, es gibt gar keinen Anlass für so viele Dokumente, um mich davon zu überzeugen, dass Sie der Sohn meines alten Freundes sind. Willkommen, tausendmal willkommen! Wünschen Sie sich bitte alles, was in meiner Macht steht: insbesondere soll Ihnen jede Geldsumme zur Verfügung stehen, die Sie benötigen.

Geist (mit einer ernsten und würdevollen Verbeugung): Ich danke Euch, Herr, für Eure freundlichen Angebote und bedaure um meinetwillen nichts mehr, als dass ich sie nicht in Anspruch nehmen kann.

Bankier: Umso besser, wenn Ihr Geldbeutel keiner Hilfe meinerseits bedarf. Sie sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass ein Mann seinem Stande gemäß leben und dennoch ein guter Wirtschafter sein kann. Ich hoffe dennoch, das Vergnügen zu haben, Ihnen behilflich zu werden, wenn Sie Ihre Reise fortsetzen. Wollen Sie mir bis dahin nicht wenigstens den Gefallen tun, mit mir zu frühstücken?

Geist: ich bin Ihnen sehr dankbar, werde aber in dieser Welt nichts mehr brauchen; denn ich bin gestern Morgen im Hotel in der Rue St. Honore gestorben und wurde heute Morgen um drei Uhr beerdigt.

Bankier (rückt seinen Stuhl zurecht): Mein lieber Graf, Sie machen wohl Witze!

Geist: Ich beliebe nicht zu scherzen, mein werter Herr. Neben anderen Gründen, Sie zu belästigen, muss ich Sie darum bitten, meinem Vater diese Schatulle, die einst ein Geschenk von Ihnen war, mit der Bitte zurückzuschicken, dass er sie ein zweites Mal aus den Händen seines verstorbenen Sohnes zum Andenken an ihn annimmt.

Bankier (mit zunehmender Besorgnis): Aber, mein lieber Graf, ich bitte Sie, sich zu besinnen. Sie sind hier, leibhaftig mit mir, wie können Sie da tot sein?

Geist (fährt, ohne sich die Mühe zu machen, dem Skeptiker zu antworten, fort wo er unterbrochen wurde): Schreiben Sie ihm bitte auch, dass die Enttäuschung meines sehnlichen Wunsches, ihn noch einmal in dieser Welt zu sehen, um ihm für all seine väterliche Güte und Zuneigung zu danken, meinen vorzeitigen Tod besonders schmerzlich gemacht hat.

Bankier (erschaudernd): Aber, mein lieber Freund, ist es möglich, dass Sie…

Geist (der zwei goldene Uhren, einen wertvollen Diamantring und zweihundertfünfzig Louis d’ors auf den Tisch legt): Ich habe jetzt keinerlei Gebrauch mehr für diesen irdischen Tand und ich vertraue darauf, dass Sie mir den Gefallen tun werden, auch diese Kleinigkeiten an meinen Vater zu übermitteln.

Bei diesen Worten blickte sich der Bankier ängstlich nach einer Seitentüre um. Er versuchte zu antworten, aber seine Zunge verweigerte ihren Dienst. Die Haare standen ihm zu Berge und sein Herz klopfte so laut wie die beiden goldenen Uhren, die auf dem Tisch lagen. Das Gespenst bemerkte seine Erregung und begann, sich zurückzuziehen. „Verzeiht mir“, sprach es, „ich wollte den Freund meines Vaters keineswegs erschrecken, aber da ich tot bin, hatte ich keine andere Wahl. Die Zeit ist gekommen, in der ich mich in mein Grab zurückziehen muss. Lebt wohl!“

Mit diesen Worten verließ das Gespenst den Raum, verschwand und ließ den Bankier mehr tot als lebendig zurück. Er läutete nach seinen Dienern, um wieder unter Lebenden zu sein, und wusste nicht, was er denken oder sagen sollte. Beim Anblick des Geldes und der Wertsachen, die in seinem Besitz verblieben waren, kam er jedoch zu Recht zu dem Schluss, dass das Abenteuer viel zu ernst war, um ihm einen Streich zu spielen; denn niemand käme auf die Idee, mehrere Tausend Livre nur für die Befriedigung wegzuwerfen, ihn für einen Moment zu Tode erschreckt zu sehen. Ebenso wenig hätte es jemand gewagt, ihm falsche Juwelen unterzujubeln, denn er war auf den ersten Blick davon überzeugt, dass der Ring ein echter Solitär von großem Wert war. Er brauchte auch die Uhren nicht an sein Ohr zu halten, um zu hören, dass sie sehr gut liefen. Er nahm die Louis d’ors einzeln in die Hand; sie waren alle aus echtem Gold. Er untersuchte das Kästchen von innen und außen, es was dasselbe, welches er dem alten Grafen geschenkt hatte. Er verglich das Porträt mit dem Gesicht des Sohnes, das er soeben als Gespenst gesehen hatte; und mit Ausnahme des Haares und der Kleidung, in deren Stil sicherlich einige Veränderungen stattgefunden hatten, fand er eine außerordentliche Ähnlichkeit zwischen dem Vater und dem Sohne bestätigt.

In diesem Dilemma fuhr der Bankier sofort zu dem Hotel, in dem sein Besucher nach dessen Angaben gewohnt hatte. Er zweifelte nicht daran, dass Monsieur Michel, der das Hotel führte, in der Lage sein würde, etwas Licht in diese ansonsten unerklärliche Angelegenheit zu bringen.

„Mein lieber Monsieur Michel“, sagte er, „kennen Sie das Original der Miniatur auf dieser Schnupftabakdose?“

M. Michel: Gewiss kenne ich sie. Der junge Graf hat lange genug in meinem Haus gelebt: es gibt keinen meiner Untermieter und Kostgänger, der ihn nicht kannte.

Bankier: Der junge und verrückte Graf von Walkenried?

M. Michel: Verrückt! Nein, nein – der verstorbene Graf von Walkenried aus Deutschland, der gestern hier einem entzündlichen Fieber erlegen ist, und der nach unseren polizeilichen Vorschriften heute früh öffentlich beerdigt wurde.

Bankier: Das ist doch wohl ein Scherz! Derselbe junge Graf, dem dieses Porträt, mit Ausnahme des altmodischen Kleides, so stark ähnelt, war vor keiner halben Stunde in meinem Hause und brachte mir Geld und Wertsachen im Wert von mehreren tausend Livre.

Noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, wich M. Michel erschrocken zurück, und der Bankier sank ohnmächtig in einen Stuhl; denn wer sollte in diesem Augenblick das Zimmer betreten, wenn nicht der Geist selbst! Dieser war etwas überrascht und verunsichert, als er ihren Schrecken bemerkte. Er hatte die Absicht, seine Rolle zu beenden, als er das Haus des Bankiers verließ, in der Hoffnung, vor diesem das Hotel zu erreichen. Er bat ihn aufrichtig um Verzeihung für den Streich, den er ihm gespielt hatte und zu dem er in gewisser Weise von Natur aus berechtigt war, und versicherte ihm, dass er weder der verstorbene Graf von Walkenried, noch sein Gespenst sei. Hier folgt nun die Lösung dieses Rätsels.

Der Freund, den der Graf in dem Baron de Vigny gefunden hatte, war, wie bereits erwähnt, ein Mann mit scharfem Verstand und lebhaftem Gemüt. Was aber noch bemerkenswerter war: Beide Männer waren einander in Gestalt und Physiognomie so ähnlich, dass ein Dritter nur an der Stimme und der Kleidung erkennen konnte, wer von beiden vor ihm stand. Die beiden Freunde nutzten diese Laune der Natur manches Mal, um ihre Bekannten beiderlei Geschlechts in viele drollige Irrtümer zu verwickeln, indem sie Kleider und Namen miteinander vertauschten. Aber die schwerwiegendste dieser Täuschungen kam M. de Vigny in den Sinn, als ihm sein Freund auf dem Sterbebett den Brief seines Vaters mit der Schnupftabakdose, der Geldbörse, den Uhren und dem Ring in die Hand drückte und ihm eine mündliche Botschaft mitgab, die er dem Bankier überbringen sollte. Der Leser weiß, wie pünktlich dieser Auftrag ausgeführt wurde. Der Kammerdiener des Grafen versorgte ihn mit einem Kleidungsstück seines verstorbenen Herrn, das M. de Vigny angezogen hatte, um den Bankier zu besuchen, und das er bei seiner Rückkehr sofort wechseln wollte. Der Bankier war wahrscheinlich einen kürzeren Weg gegangen, oder der Kutscher, der ihn fuhr, hatte sich stärker beeilt, und so hatte er das Hotel noch vor dem angeblichen Geist erreicht. M. Michel wusste nichts von dieser Verkleidung und war daher nicht wenig erschrocken, als er M. de Vigny, das Ebenbild des Verstorbenen, in dessen Kleidung die Wohnung betreten sah.

Wie groß war die Chance, dass diese Täuschung in einer so großen Stadt wie Paris unentdeckt geblieben wäre! Was für ein Argument hätte dieses Geschehen für den Glauben an übersinnliche Erscheinungen geliefert! Man kann nicht oft genug wiederholen, dass die rätselhaftesten und unerklärlichsten Umstände nicht deshalb für übernatürlich und wundersam erklärt werden dürfen, weil ihre natürlichen Ursachen zufällig vor unserem Wissen verborgen sind.

Geschichtsverein präsentiert seine Kreuzgang-Bildersammlung

Der Verein für Heimatgeschichte Walkenried/Bad Sachsa und Umgebung e.V. wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. „Seit 60 Jahren sammeln wir Dokumente und Informationen über die ältere und jüngere Geschichte unserer Gegend und haben vieles hiervon in mittlerweile über 50 Publikationen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das ist für einen doch recht kleinen Verein eine erstaunliche Bilanz“ erläutert der Vorsitzende Michael Reinboth. Eine Leistung, die ohne unermüdliche Helfer im Vereinsarchiv so nicht vorstellbar gewesen wäre und ist. Aktuell ist eine Chronik der Walkenrieder Feuerwehr in Arbeit, die ihrerseits in diesem Jahr 150 Jahre alt wird.

Seit Jahrzehnten sammelt der Verein aber auch Bilder von und über Walkenried und seine Umgebung. Im Jubiläumsjahr gelang dank einiger Sponsoren der Erwerb eines Kreuzgang-Gemäldes von Shirin Fatemi, welches die Künstlerin eigens für ihre letztjährige Ausstellung im ZisterzienserMuseum Kloster Walkenried gemalt hat. Dies und das Vereinsjubiläum waren für den Verein Anlass, seinen gesamten Bestand an Kreuzgang-Bildern zu sichten, zu ordnen und neu zu präsentieren. Hierfür hat man eigens in der alten Grundschule die Wand gegenüber dem „Rosenblath-Zyklus“ umgestaltet. Der Zyklus enthält seinerseits ebenfalls Kreuzgang-Bilder des Walkenrieder Graphikers Karl Helbing. Er ist, wie auch Walther Reinboth oder der zwischen den beiden Kriegen hier tätige Casimir Ballenstedt und einige andere, darunter auch Fotografen, auf der neuen „Kreuzgang-Wand“ vertreten.

„Es ist schon bemerkenswert, in welchem Umfang der Walkenrieder Kreuzgang, namentlich natürlich der zweischiffige Flügel, Künstler begeistert und angeregt hat. Wir haben zahlreiche Darstellungen aus allen möglichen Blickwinkeln, von innen und von außen, mit und ohne Publikum, die wir gern zeigen wollen – auch um zu demonstrieren, welch einmaligen Schatz wir mit der Klausur des Klosters haben.“

Man müsse, so Reinboth, dabei bedenken, dass die Baukunst der Gotik über mehr als 300 Jahre hinweg kaum beachtet wurde. Der Begriff „Gotik“ wurde in Europas Süden geprägt, um diese Stilrichtung als „barbarisch“ gegen die aufkommende Renaissance und das Bewundern antiker Bauten abzugrenzen und abzuwerten. Erst in der aufkommenden Romantik begann man, den Wert gotischer Bauwerke wieder zu schätzen. So richtig Fahrt nahm das Interesse an der Gotik mit Beginn des 19. Jahrhunderts und der Begeisterungswelle anlässlich der Fertigstellung des Kölner Doms auf – und erst seit dieser Zeit gibt es auch den Begriff „Denkmalpflege“ im Zusammenhang mit dem Kloster Walkenried. Zuvor war die Klausur im Grunde nur willkommener Lagerraum für die Domäne, der Innenraum der Kirchenruine seinerseits Bauplatz für mehrere Häuser, die Ruine selbst gern genutzter Steinbruch. Seit mehr als 200 Jahren wird nun das Kloster mit seiner Klausur von den Künstlern immer wieder neu entdeckt.

Jeder Stein im Kreuzgang zeugt zudem von der heute kaum noch vorstellbaren tiefen Gläubigkeit und der im 13. und 14. Jahrhundert herrschenden Stimmung. Gotische Bauten waren kein Selbstzweck. Ihr einziger Sinn und Zweck war das Lob Gottes.  

„Unsere kleine Galerie kann keinen Steuerwaldt, keinen Hasenpflug vorweisen, jedenfalls nicht im Original. So hochmögende Sponsoren haben wir denn doch noch nicht. Aber das, was wir haben, kann schon begeistern und anregen. Und genau das soll es auch.“ Reinboth freut sich, dass eigens zur Eröffnung der Ausstellung am 24. Februar (Samstag) einige Leihgaben die eigene Sammlung noch ergänzen werden. „Wir werden an diesem Tag auch die Lebensläufe von einigen der vertretenen Künstler vorstellen. Ich freue mich, dass Meike Helbing das Leben ihres Großvaters schildern wird. Lassen Sie sich einfach mal überraschen, was wir noch anzubieten haben.“

Wie es sich für eine Ausstellungseröffnung gehört, werden auch Getränke und ein paar Häppchen gereicht werden. Und selbstverständlich werden auch Führungen durch die übrige Ausstellung des Vereins in der Pausenhalle und in den Fluren der alten Grundschule angeboten. Los geht es um 14 Uhr, das Ende ist offen. 

Krieg und Klosterort – Orte des Gedenkens in Walkenried

Krieg und Walkenried – das hat doch fast nichts miteinander zu tun! Oder jedenfalls nicht mehr als in ganz vielen anderen kleinen Gemeinden in Deutschland auch. Das mag sein, aber wir haben uns anlässlich des Walkenrieder Aktionstages für den Frieden am 7. Mai dennoch aufgemacht, um alle Orte, die in Walkenried etwas mit Krieg und Frieden zu tun haben, aufzulisten und Ihnen einen Besuch dieser Orte zu empfehlen. Und da kommt dann eben doch eine ganze Menge zusammen.

1 Die Sachsenburg

Um den in historischer Reihenfolge ersten Gedenkort aufzusuchen, müssen Sie eine kleine Wanderung machen. Die westlich von Walkenried im Naturschutzgebiet Priorteich/Sachsenstein liegenden Reste der „Sachsenburg“ erinnern an jene Zeiten, in denen Kaiser Heinrich IV. – das ist der mit dem Gang nach Canossa – sich über viele Jahre hinweg mit wechselndem Erfolg, aber letzten Endes ohne Ergebnis, mit den Sachsen herumstritt, mit dem Bau der Sachsenburg und anderer diese zu bezwingen gedachte, nach verlorener Schlacht aber im Frieden von Gerstungen schon 1074 ihrem Abbruch zustimmen musste. Heinrich IV. führte in seinen 50 Regierungsjahren fast immer irgendwo Krieg, zuletzt mit seinem eigenen Sohn Heinrich V., der seinerseits die Sachsen zu bezwingen gedachte und am Welfesholz (bei Hettstedt) eine verheerende Niederlage kassierte. Sein Gegner: Der spätere Kaiser Lothar von Süpplingenburg.

Sachsenburg
Der Rundturm der Sachsenburg im herbstlichen Blumenberg.

2 Das Kloster Walkenried

Das Zisterzienserkloster Walkenried bietet gleich aus mehreren Gründen Stoff zum Nachsinnen über Krieg und Frieden. Es war einst Gastgeber zweier Herrscher, die aus unterschiedlichen Gründen in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt waren, nämlich für Heinrich den Löwen einerseits (der kurierte hier einen Beinbruch aus und war deswegen an einem Aussöhnungstreffen mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa verhindert) und für Kaiser Otto IV. andererseits. Dieser einzige Welfenkaiser war praktisch vor und während seiner Regentschaft immer irgendwo in Kriege verstrickt und musste sich nach der verlorenen Schlacht von Bouvines mehr oder weniger zurückziehen, blieb allerdings nominell bis zu seinem Tod auf der Harzburg Kaiser. Seine letzte Beichte nahm ein Walkenrieder Abt ab. Schließlich: Das Kloster wurde in einem weiteren Bürgerkrieg auf deutschem Boden, dem Bauernkrieg, 1525 so schwer beschädigt, dass es sich davon nicht mehr erholen konnte.

Kloster Walkenried
Die Ruinen des Klosters Walkenried – gezeichnet um 1950 von Karl Helbing.

3 Die Juliushütte

Dieser Gedenkort erfordert kleine Wanderung in östlicher Richtung. (Zu erreichen ist die Juliushütte aber auch mit dem Zug – sie liegt gleich gegenüber vom Bahnhof Ellrich.) Die nicht mehr existierende Siedlung ist in gleich mehrfacher Hinsicht ein wirklicher Ort des Gedenkens: In der Holzmehlfabrik Trinks wurden 1943-1945 Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter beschäftigt, von 1944 bis 1945 wurden Fabrikgebäude und Wohnungen für die Einrichtung eines der schlimmsten KZ im Südharz, des KZ Ellrich-Juliushütte, verwendet, in dem Tausende ermordet wurden, und nach dem Krieg wurde die Juliushütte zum Zufluchtsort vieler Flüchtlinge und zu einem „Hotspot“ des Schleusens von Ost nach West und umgekehrt, erlebte Schießereien und Schikanen der russischen Besatzungstruppen – und wurde bis 1964 als Ort sowohl in Ost als auch in West systematisch ausgetilgt. Östlicherseits ging es dabei um freies Schussfeld, falls jemand die Grenze hätte überqueren wollen. Im Westen ging es um die Beseitigung eines „Schandflecks“, weil nach dem Brand der Fabrik 1955 viele Ruinen zurückblieben, die von östlicher Seite gern gefilmt wurden. Bewusst oder unbewusst wurden damals auch die Spuren des KZ getilgt. Nach der Wende wurde die Juliushütte zusammen mit dem Ellricher Teil des KZ wieder erschlossen, in jüngster Zeit fanden auch umfangreiche Grabungen statt, deren Ergebnisse bald aufbereitet sein werden.

Gedenkstein KZ Juliushütte
Der Gedenkstein für die Opfer des KZ Ellrich Juliushütte.

Die Juliushütte ist also auch deswegen ein Gedenkort, weil man an ihr den Umgang mit der NS-Zeit in der DDR, der Bundesrepublik, in Walkenried und in Ellrich studieren kann. In der DDR war das Sperrgebiet tabu, und alte Nazis gab es dort per Definition sowieso nicht. Gern gesprochen wurde aber auch in Walkenried über die Sache nicht, und es bedurfte des persönlichen Einsatzes der ersten Frau im Walkenrieder Gemeinderat, der jüngst verstorbenen Ruth Monicke, um eine Gedenkplakette an die KZ-Opfer am Kriegerdenkmal anzubringen und einen Gedenkstein auf der Juliushütte aufzustellen. Heute gehen wir in Walkenried und Ellrich offen mit diesem sehr dunklen Kapitel aus unserer Vergangenheit um, aber das war nicht immer so. Womit wir schon beim nächsten Gedenkort wären, der aus Klostervorplatzsicht gleich um die Ecke liegt:

4 Das Kriegerdenkmal im Bürgerpark und seine Erinnerungskultur

Alle Kriege fordern Opfer auf Seiten des Militärs und in der Zivilbevölkerung. Wie andere „Kriegerdenkmäler“ auch, so war das Walkenrieder im Bürgerpark zunächst eben für die militärischen Opfer der Kriege von 1914-1918 und 1939-1945 gedacht. Der gefallenen Söhne aus Walkenried gedenken wir selbstverständlich auch heute noch. Aber wir schließen in das Gedenken inzwischen eben auch die zivilen Opfer von Krieg und Gewalt ein – und, wie die Gedenkplakette beweist, auch jener, die im KZ Ellrich/Juliushütte umkamen oder ermordet wurden. Wir bekennen uns auch zu diesem Teil unserer Geschichte, ohne all die zu vergessen, die in den Kriegen starben oder seither vermisst werden.

5 Das Jagdschloss

Dieser schlichte Barockbau von Hermann Korb für die Braunschweiger Herzöge und ihre Gäste ist an sich ein durch und durch friedlicher – und sehenswerter – Ort. Aber auch er hat seinen kleinen Anteil am Thema Gedenken. Im Frühjahr 1945 verbargen sich hier Häftlinge des KZ Juliushütte (oder aus dem KZ Dora), wurden aufgespürt, zunächst von etwas einsichtigeren Wehrmachtsangehörigen nur verjagt, aber dann eben doch von anderen Wehrmachtsangehörigen (nicht der SS) auf ihrem Fluchtversuch erschossen. Ihre Gräber finden sich bis heute auf dem Walkenrieder Friedhof auf dem Geiersberg – neben denen von drei Angehörigen der Wehrmacht, die nahe Zorge bei einer Erkundungsfahrt erschossen worden sind. Im Gegensatz zu deren Namen blieben die der Häftlinge „unbekannt“.

6 Die Zonengrenze und das Eisenbahntor

Sie ist heute fast vergessen und doch auch ein Zeuge von Krieg und Gewalt. Walkenried war bis 1989 von gleich drei Seiten von der „Staatsgrenze West“ umgeben. Auch hier lagen Minen, gab es Selbstschussanlagen und wurde auch geschossen. Symbolhaft für die Grenze steht das ehemalige Eisenbahntor kurz vor dem Bahnhof Ellrich. Hier durften von 1949 bis 1989 nur Güterzüge passieren, der Bahnhof Ellrich und das Gelände ringsum wurden streng bewacht. Und hier wurde bei Fluchtversuchen auch geschossen, es gab Verwundete, glücklicherweise aber keine Toten. Gleichwohl stehen die Reste der Zonengrenze – auch an der Straße nach Ellrich an der „Rotbuche“ zu sehen – für Kriegsfolgen und Gewalt. Ein Gang zur ehemaligen Grenze darf daher nicht fehlen.

Einfahrt des ersten Personenzuges in Walkenried aus Ellrich nach der Grenzöffnung am 12.11.1989.

7 Die „Schlesiersiedlung“ in der Aue

Längst schon wohnen dort nicht mehr nur Schlesier. Wieso also Gedenkort? Weil der kleine Ort Walkenried, der 1945 knapp 2.000 Einwohner zählte, nach 1945 vorübergehend fast 1.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten aufnahm. Das lief keineswegs immer reibungslos, es gab damals schon das, was man heute „Diskriminierung“ nennen würde. Aber letzten Endes gelang die Integration doch. Das dringendste Problem war das der Wohnungen – Arbeit gab es genug, und im Unterschied zu heute ging es damit auch sofort los. Nur Wohnraum war knapp. Viele Flüchtlinge hausten in heute unvorstellbaren Verhältnissen. Eine Abhilfe war die Erschließung von Baugrundstücken, die an Flüchtlinge vergeben wurden, die bei uns vorzugsweise aus Schlesien stammten. Heute erinnert fast nur noch der Name „Waldenburger Straße“ an diese schweren Zeiten.

8 Das Anglerheim am Brunsteich

Ein Ort, den man sich friedlicher kaum vorzustellen vermag. Und doch: In den damaligen „Südharzer Baustoffwerken“ (SÜBA) wurde ebenfalls eine aus Schlesien stammende Flüchtlingsfamilie angesiedelt. Sie war seinerzeit die erste dieser Familien, die wieder ein eigenes Dach über dem Kopf bekamen. Viele Jahre war die SÜBA dann Treffpunkt der alten Schlesier, die durch einen Krieg ihre alte Heimat verloren hatten. „Integration“ wurde damals weniger betont, sondern nach gewissen Anlaufschwierigkeiten einfach gelebt. Gleichwohl wollten die Schlesier einige alte Bräuche und Speisen aus ihrer Heimat bewahren und gemeinsam leben. Zwischen dem Güterbahnhof und der SÜBA fand eine weitere Familie aus Schlesien eine provisorische Unterkunft, die noch bis in die 1960er Jahre hinein genutzt wurde.

9 Die „Walkenrieder Friedenstafel“

Auch so etwas gibt es, und zwar in der Ausstellung des Vereins für Heimatgeschichte in der alten Grundschule am Geiersberg. Im „Siebenjährigen Krieg“ wurden dereinst einige Walkenrieder Bürger als Geiseln genommen und verschleppt. Erst nach Monaten konnten sie zurückkehren. Und aus eben diesem Grunde stifteten sie eine Holztafel, deren höchst interessante Inschrift auf den Janustempel verweist, der im alten Rom immer dann geöffnet wurde, wenn ein Krieg ausbrach, und nach dessen Ende wieder geschlossen wurde. Gäbe es ihn heute noch, er müsste dauern offenbleiben. An so etwas dachten unsere Altvorderen freilich nicht, sondern waren einerseits heilfroh, wieder in Walkenried zu sein (und wer ist das eigentlich nicht?), und andererseits gebildet genug, um den Bezug zu den alten Römern herzustellen. Zudem birgt die Tafel auch einen Hinweis auf ihr Entstehungsjahr – man muss nur die Großbuchstaben wie „V“ und „I“ zusammentippen. Die Tafel wurde später als Trittbrett auf dem Dachboden der Försterei benutzt und nach ihrer Entdeckung und Bergung im Geschichtsverein aufgehängt – zu besichtigen jeden Dienstag und Mittwoch von 15 bis 17 Uhr.

10 Die „Waterlootafel“

Diese harrt noch einer sinnvollen Anbringung. Der „Schwarze Herzog“ Friedrich Wilhelm von Braunschweig führte, wie Schill, 1813 nicht ohne kleinere Erfolge einen Privatkrieg gegen Napoleon. Er zog quer durch Deutschland und konnte sich mit seiner Schar in Brake tatsächlich nach England einschiffen. Von dort kehrte er 1813 zurück, übernahm die Regierung seines Landes, zog aber mit seinen – vorwiegend ganz jungen und aus dem Herzogtum stammenden – Mannen 1815 erneut gegen Napoleon zu Felde. Bei Quatre Bras wurde er getötet. Viele seiner Schar traf dasselbe Schicksal, und da die Schlacht von Waterloo der Kulminationspunkt dieses Feldzuges war, ist die Metalltafel (in Zorge gegossen) mit den Namen der zwei Walkenrieder Gefallenen eben als „Waterlootafel“ bekannt. Der betont „heldenhafte“ Text ist aus heutiger Sicht mehr als bedenkenswert, aber man darf nicht vergessen, dass man einerseits das „Napoleonische Joch“ wieder abschütteln wollte und es sich andererseits quasi um Jugendliche gehandelt hat, die sich vom „Schwarzen Herzog“ beeindrucken und gewinnen ließen. Die Tafel ist derzeit magaziniert.

11 Der Walkenrieder Friedhof und die Friedhofskapelle

Unser Friedhof liegt oben auf dem Geiersberg. Wer sich dort hinauf begibt, wird natürlich auch die schönen Ausblicke in den Harz und zum Kloster genießen. Am Eingang der Friedhofskapelle findet man aber auch die Namenstafeln der in den beiden Weltkriegen gefallenen Walkenrieder. Und geht man um die Kapelle herum, stößt man auf zwei Kreuze, deren eines auf drei nahe Zorge getötete Angehörige der Wehrmacht hinweist, das andere hingegen an „Fünf unbekannte Häftlinge“ erinnert – eben jene, die bei der Flucht aus dem Jagdschloss erschossen wurden.

Friedhofskapelle
Die Friedhofskapelle auf dem Geiersberg – gezeichnet um 1960 von Karl Helbing.

12 Das „Mordwäldchen“

Was für ein Name! Dabei existiert das kleine Wäldchen, welches Erzählungen nach in der Zeit von 1945 bis 1948 von dem Massenmörder Rudolf Pleil als Versteck genutzt worden sein soll, schon lange nicht mehr. 1972 wurden die letzten Bäume dort durch einen Sturm weggefegt. Tatsächlich hat es in der wilden Zeit Walkenrieds 1945-1949, als täglich mehrere hundert, zeitweise mehrere tausend Menschen die noch grüne Grenze illegal passierten, um zum Bahnhof Ellrich oder zum Bahnhof Walkenried zu gelangen, viele Vorfälle, Schießereien, Vergewaltigungen und auch einige Morde gegeben. Walkenrieds Polizei hatte damals mehr als ein Dutzend Beamte vor Ort, um des Stroms der zum Teil entwurzelten und heimatlosen Menschen Herr zu werden. Dieser Strom der „displaced persons“ wurde letztlich durch den Zweiten Weltkrieg verursacht. Mehr als 70 Jahre sind seither vergangen, aber der Strom der Flüchtlinge, die vor Kriegen und nun auch vor Naturgewalten und Klimaveränderungen fliehen, reißt nicht ab.

Hier klicken für eine interaktive Übersicht der Gedenkorte.

Weitere Gedenkorte im Umfeld unseres Klosterortes

Zorge, Ortsmitte: Der kleine Südharzort wurde am 08.04.1945 bombardiert. Mehrere Häuser stürzten ein, 18 Menschen starben vier Wochen vor Kriegsende.

Zorge, Andreasberger Tal: Der Fabrikant Richard Fischer wurde am 9.4. von Angehörigen der Wehrmacht erschossen. Er hatte sich geweigert, mit Männern des Volkssturms und 5 Gewehren Panzersperren gegen die Amerikaner zu verteidigen. Beim Kreisleiter denunziert, wurde er ein Opfer fanatischer Nationalsozialisten, die kurz darauf nie welche gewesen waren…

Wieda, Schützenplatz: Ehemaliger Standort von SS-Baracken. Hier waren Häftlinge der SS-Baubrigade untergebracht, die beim Bau der Helmetalbahn eingesetzt wurden. Zusammengepfercht und schlecht ernährt, mussten sie auch noch die in Nüxei und Osterhagen evakuierten Lagerinsassen aufnehmen. Es kam zum Zusammenbruch mehrstöckiger Betten mit mehreren Toten. Tags darauf begann der Marsch über den Harz, der viele weitere Häftlinge das Leben kostete.

Bad Sachsa: „Kinder des 20. Juli“ – Ausstellung im Kurhaus Bad Sachsa. Das ehemalige Kinderheim im Borntal ist als Unterkunft der Kinder von Attentätern des 20. Juli ein bleibendes Zeugnis der Perversion einer furchtbaren Diktatur. Aber auch in der DDR war die Wegnahme von Kindern und die Verschaffung einer anderen Identität für Kinder von „Republikflüchtlingen“ und Oppositionellen an der Tagesordnung.

Bad Sachsa: Grenzlandmuseum – Aufbau und Ausbau sowie Ereignisse an der innerdeutschen Grenze

Bad Sachsa: Kriegerdenkmal vor der Nikolaikirche: Das von Paul Juckoff entworfene Ehrenmal atmet den Geist der Kaiserzeit und sollte ursprünglich „nur“ an die Gefallenen von 1870/71 erinnern. Es wurde aber erst 1914 fertig – und da war der Erste Weltkrieg schon ausgebrochen. Texte wie „Gott mit uns“ erinnern an die Zeiten, in denen das Militär alles beherrschte und die Kirche sich alles andere als friedlich verhielt.

Tettenborn Kolonie: Nahe des Bahnhofs wurden bei der Evakuierung des KZ Dora aus dem stehenden Zug fliehende Häftlinge erschossen und verscharrt. Einige der im Zug inzwischen Verstorbenen gleich mit. Arbeiter des Gipswerks entdeckten ihre Überreste. Zuvor wusste niemand etwas oder wollte es nicht wissen. Eine Gedenktafel erinnert daran.

Nüxei: Gedenkort und Gedenkweg zum Bau der Trasse der „Helmetalbahn“. Diese wurde 1944 und 1945 von SS-Baubrigaden unter brutalem Einsatz von Häftlingen als Entlastungsstrecke zur Südharzstrecke Northeim – Nordhausen gebaut

Nordhausen: Lager Dora – das riesige KZ „versorgte“ das Mittelwerk, in dem V-Waffen produziert wurden, mit Menschen, die hier durch Arbeit vernichtet wurden. Das KZ Ellrich-Juliushütte war zunächst eine Außenstelle dieses KZ.

Nordhausen: Die Altstadt wurde im April 1945 durch zwei Bombenangriffe fast vollständig vernichtet. Über 8.000 Menschen fanden den Tod. Eine Gedenkstelle vor dem alten Rathaus erinnert daran, dass die Gewalt zu denen zurückkehrte, die sie zuerst anwandten. Es traf viele Unschuldige, darunter Häftlinge in der Boelke-Kaserne.

Zeichnungen und Aquarelle von Walther Reinboth in der Gemeindebücherei Walkenried

Zeichnungen und Aquarelle von Walther Reinboth in der Gemeindebücherei Walkenried

Walther Reinboth sen. verstarb vor mehr als 30 Jahren und hinterließ als sein Lebenswerk nicht nur die Ergebnisse seiner Heimatforschungen, sondern auch eine umfangreiche Sammlung von Gemälden, Skizzen, Zeichnungen, kolorierten Zeichnungen und Aquarellen. Sein Enkel Michael hat diese nun zusammen mit dem Urenkel Christian gesichtet, geordnet und katalogisiert. Rund 140 Blätter unterschiedlicher Größen sind dabei als erhaltenswert eingestuft worden, die, von Ausnahmen abgesehen, in drei Kategorien eingeteilt werden können.

Walkenried und der Südharz

Dieser Teil umfasst rund 40 Zeichnungen und Aquarelle mit sehr unterschiedlichen Motiven: Gebäude wie das Kloster sind dabei, die Klosterteiche und die Walkenrieder Landschaft, die alte Wiedabrücke oder einfach nur ein Straßenzug wie der Hohe Weg. Aus der Umgebung stechen sehr schöne Darstellungen der Südharzer Landschaft und des Oberharzes heraus. Die Bilder entstanden in einem Zeitraum von ca. 1930 bis 1960.

Das Motiv der alten Wiedabrücke hat Walther Reinboth offenbar fasziniert (entstanden 1958).

Nordhausen und Umgebung

Dieser Teil der Sammlung umfasst ebenfalls rund 40 Bilder, deren Erstellung ausschließlich vor 1945 liegt, weil Walther Reinboth danach nicht mehr nach Nordhausen zurückgekehrt ist. Hier ist es gelungen, den Nordhäuser Geschichtsverein und das Stadtarchiv für die Aufbewahrung zu gewinnen. Die Nordhausen-Sammlung ist somit komplett in guten Händen.

Der Blick vom Rähmen auf die Hüterstraße in Nordhausen. Die Straße wurde bei Luftangriffen im Jahr 1945 fast vollständig zerstört, verschwand beim Wiederaufbau vollständig aus dem Stadtplan und ist im heutigen Nordhausen nicht mehr zu finden.

Reisen und Krieg

Walther Reinboth war als Vertreter der Südharzer Gipsindustrie vor und nach dem Krieg sehr viel unterwegs – vor 1945 in Westfalen, in der Provinz Sachsen, im Sudetenland und in Ostpreußen, nach 1945 unter anderem in der Oberpfalz. Überall hatte er Block und Stift dabei, und so finden sich Motive aus Dortmund, aus Paderborn, aus dem Samland bei Königsberg, aus dem Egerland, Zeichnungen aus der Adersbacher Felsenstadt… Während des Krieges wurde er für einen einwöchigen Studien-Aufenthalt in Rothenburg ob der Tauber ausgewählt und hat diese Stadt in zahlreichen wunderbaren Zeichnungen erfasst. Als Soldat war auf dem Balkan und auf dem Rückzug durch Slowenien und die Hohen Tauern unterwegs und vergaß auch hier nie seine Malutensilien, weswegen wir über einige sehr schöne Darstellungen aus dem Sanntal und aus den Tauern verfügen.

Teile der Stadtmauer von Rothenburg ob der Tauber, gezeichnet im Jahr1940.

Im Archiv des Geschichtsvereins und in der Walkenrieder Gemeindebücherei werden nun bis Weihnachten die Walkenried-Zeichnungen und -Aquarelle gezeigt. Sie sind alle im Urzustand, also nicht gerahmt, aber sämtlich in sehr gutem Zustand. Wer sich die Bilder ansehen oder gar eines erwerben möchte, der kann dies jeden Dienstag und Mittwoch zwischen 15 und 17 Uhr tun. Dann besteht auch Gelegenheit, den Stapel Nummer drei durchzuschauen.

Dieses Aquarell des Mehholzes hinter der Kutzhütte entstand 1949.