Eine Anregung für den weihnachtlichen Gabentisch
Auf den ersten Blick wirkt der heutige Bahnhof Ellrich auf den Fahrgast wie eine ganz normale Station, auf der sich jede Stunde zwei Züge treffen, um in Richtung Nordhausen und Northeim weiterzufahren. Manch einer mag sich über den guten Zustand des Bahnhofsgebäudes wundern, ist er doch auf ländlichen Stationen der Deutschen Bahn anderes gewöhnt: Entweder gibt es nur noch kleine Hütten zum Unterstellen oder desolate Baulichkeiten, mitunter auch beides zusammen. Nicht so in Ellrich.
Schon historisch: Infolge des verunglückten Bahnsteigumbaus müssen die Züge aktuell nacheinander in Ellrich halten… Auf dieser Station ist eben nichts wirklich normal (Foto: Klaus Dietrich).
Tatsächlich weist dieser Kleinstadtbahnhof eine mehr als ungewöhnliche Geschichte auf. In seinen nunmehr 151 Jahren hat er allerhand erlebt und geht die nächsten 50 Jahre in nochmals völlig veränderter Form an. Er stand an der Wiege der Ellricher Industrie, die sich durch und mit ihm entwickelte: Gipsfabriken, Fabriken zur Herstellung von Schuhleisten, Webereien entstanden und siedelten sich rund um den Bahnhof an. Mancher Fabrikant errichtete sich in unmittelbarer Nähe eine prachtvolle Villa. Mit dem Bau der Kleinbahn nach Zorge und der Einrichtung der Buslinie nach Sülzhayn – Benneckenstein entwickelte sich der Bahnhof zu einem kleinen Knotenpunkt.
1944/45 musste er das Entstehen des KZ Ellrich-Juliushütte in seiner unmittelbaren Nachbarschaft mit ansehen und spielte beim Transport der Häftlinge eine unrühmliche Rolle. Seine schon vor dem Krieg ausgebauten Luftschutzeinrichtungen wurden allerdings nie benötigt – sie blieben aber erhalten und können heute besichtigt werden. Es kam die Zeit der „Zonengrenze“, in der Fahrgäste zu Grenzgängern wurden und sich rund um die Juliushütte viel Menschliches und Unmenschliches abspielte, bis der „Eiserne Vorhang“ endgültig niederging und den Bahnhof Ellrich zu einem Grenzbahnhof für Güterzüge werden ließ, dessen Sicherungsanlagen immer mehr perfektioniert wurden. Dennoch gab es immer wieder Fluchtversuche, von denen einer mittels Lkw über Bahngleise 1985 im Kugelhagel scheiterte.
Dann kam der 12.11.1989, der Tag, an der Personenverkehr in Richtung Westen auf ungewöhnliche Weise wieder aufgenommen wurde und Tausende die erste Gelegenheit zu einer Fahrt durch den Tunnel nutzten. Während danach der Reiseverkehr gegen viele Widerstände immer weiter ausgebaut wurde, erlebte der lokale Güterverkehr einen raschen Niedergang, viele Arbeitsplätze auf dem und rund um den Bahnhof gingen verloren. Auch der durchgehende Güterverkehr ging zurück. Vor dem Schicksal vieler deutscher Bahnhöfe, nämlich Verfall und Abriss der nicht mehr betriebsnotwendigen Gebäude, wurde der Ellricher durch die geniale Idee der Stadtväter und des Rates bewahrt, die sowohl das Empfangsgebäude wie auch den Güterschuppen von der Bahn erwarben und für die Zwecke der Ellricher Stadtfeuerwehr umbauten. Seither verfügt Ellrich über ein Schmuckstück an Bahngleisen – und stellt Räume und Toiletten für Reisende zur Verfügung!
Damit nicht genug, gibt es jeden werktäglichen Morgen dank der Lustlosigkeit der thüringischen Nahverkehrsplaner und des Desinteresses der regionalen Politiker das Schauspiel des „Geisterzuges“ zu bestaunen: Ein Triebwagen der DB Regio hält gegen 5 Uhr hier, um eine weitere Einheit abzukuppeln, aber niemand darf zur Fahrt nach Göttingen einsteigen… Auf dem Bahnhof kann mithin, wer möchte, jeden Morgen ein Stück realer deutscher Verkehrspolitik bestaunt werden.
Mit der Umstellung auf Fernsteuerung durch ein zentrales Stellwerk in Göttingen wurden im Sommer 2020 die beiden letzten betrieblich genutzten Gebäude, die Stellwerke, überzählig. Der Bahnhof ist nun unbesetzt – freilich nicht ganz, denn die überlegene Planungskunst der Deutschen Bahn ließ den Umbau des Bahnsteigs mit der Umstellung der Technik nicht Schritt halten, was bis auf weiteres den Einsatz eines Sicherungsposten erforderlich macht und die Züge in Richtung Nordhausen gleich zwei Mal innerhalb von 20 Metern zum Halten zwingt…
Stefan Zimmermann, seit Jahrzehnten bei der Ellricher Feuerwehr tätig und beim dortigen Feuerwehrmuseum engagiert, und Michael Reinboth, ebenso lange mit der Geschichte der Südharzstrecke und verkehrspolitischen Themen befasst, haben sich zusammengetan und auf 250 Seiten mit rund 400 Abbildungen die Geschichte dieses doch nicht so gewöhnlichen Bahnhofs und seiner Umgebung nachgezeichnet. Es ist gelungen, gerade für den Zeitraum von 1970 bis 1990 noch Zeitzeugen zu sprechen und deren Erlebnisse aufzuzeichnen. Einige Ellricher Sammler haben überdies Fotos zur Verfügung gestellt. Die allermeisten der historischen Bilder wurden bisher noch nirgendwo anders publiziert. Darunter befindet sich eine komplette Fotodokumentation des Grenzbahnhofs um 1988.
Das Buch im A4-Format wird Anfang Dezember beim Papierflieger-Verlag Clausthal-Zellerfeld erscheinen und kostet broschiert 17 €, die Ausgabe mit festem Einband wird für 27 € zu erhalten sein. Vorbestellungen nehmen der Verlag und die beiden Autoren gern entgegen.
Nervöse Kunden und übereifrige Kontrolleure machen der Bahn zu schaffen
Vor einem Jahr schien die Walkenrieder Bahnwelt noch in Ordnung zu sein. Mit Hilfe des Harz-Weser-Netzes gelang es in letzter Minute, den personenbedienten Fahrkartenverkauf am Walkenrieder Bahnhof zu retten, auch wenn die Öffnungszeiten eingeschränkt werden mussten. Viele vor allem ältere Bahnkunden wissen seither den für einen Ort der Größe Walkenrieds ungewohnt guten Service zu schätzen, doch nehmen auch Auswärtige aus der „Vertriebs-Diaspora“ der Bahn die Dienste gern in Anspruch.
Doch nun ziehen schon wieder dunkle Wolken am Verkaufshorizont auf. DB Regio, so der Leiter des Betriebes Braunschweig kürzlich gegenüber PRO BAHN-Mitgliedern, „stehe kurz davor, die Reißleine zu ziehen“. Dafür gibt es zwei Gründe – von denen einer prinzipiell abstellbar und der andere mehr als ärgerlich ist.
Grund Nummer eins sind ungeduldige Kunden, die nicht nachvollziehen können, dass der Mitarbeiter der Bahn in erster Linie Fahrdienstleiter und damit für die Zugfahrten verantwortlich ist. Wenn Züge fahren, muss man schon einmal ein paar Minuten warten. Wenn dabei ein Wort das andere ergibt, kann sich eine solche Situation leicht aufschaukeln – angeblich bis hin zu Anrufen bei der Bundespolizei. Hier kann man nur an die Walkenrieder und andere Nutzer appellieren, Geduld zu haben. Nach wenigen Minuten geht es ja weiter. In diesem Zusammenhang ist es natürlich sehr ärgerlich, dass der Bahnhof telefonisch nicht mehr erreichbar ist und man, gerade als Auswärtiger, schlecht in Erfahrung bringen kann, ob die Fahrkartenausgabe geöffnet ist oder, wie kürzlich, aufgrund technischer Probleme kein Verkauf erfolgen kann. Mit dem Abmelden des Telefons hat die Bahn unerfreulichen Situationen am Schalter insoweit selbst Vorschub geleistet, denn wer unverrichteter Dinge wieder abziehen muss, ist natürlich entsprechend „geladen“.
Der andere Grund ist eigentlich ein ungeheuerlicher und zeigt, warum es die Eisenbahn heutzutage in unserer Gesellschaft nicht leicht hat. Sie wird nämlich vom Eisenbahn-Bundesamt kontrolliert, und zwar nicht nur, wie man es sicher für richtig hält, in Sachen Sicherheit der Fahrzeuge und Gleise, sondern auch in Sachen Vertrieb. Und da haben übereifrige Kontrolleure sich gerade kleine Verkaufsstellen herausgepickt und tauchen mit Fragen wie der „Mitnahme von Hunden in Zügen in Österreich“ und anderem mehr am Schalter auf. Wird die Frage falsch beantwortet, kommt ein Bußgeldbescheid.
„Es ist unglaublich, dass ausgerechnet das Eisenbahn-Bundesamt dafür sorgt, dass immer mehr Verkaufsstellen aufgeben. Manches Reisebüro hat den Fahrkartenverkauf schon beendet, weil es kein Bußgeld mehr riskieren will. Und nun geht es den ländlichen Vertriebsstellen der Bahn auch an den Kragen, nur weil einige Sesselpupser ihre Existenzberechtigung unter Beweis stellen wollen“ meint Michael Reinboth von der Initiative „Höchste Eisenbahn für den Südharz“ hierzu. Statt sich auf wichtige Dinge zu stürzen, werden unter anderem in Walkenried Fragen gestellt, die ansonsten in 100 Jahren nicht einmal auftauchen – und der Verkauf ganz gewöhnlicher Inlandstickets nebst Beratung, der in Walkenried gut funktioniert und 99,9 % der Geschäfte ausmachen, werden nachhaltig bedroht.
Für falsche Fahrkarten und Auskünfte gibt es geregelte Beschwerdewege und Instanzen. Das Eisenbahn-Bundesamt wird gerade hierfür keineswegs benötigt. Aber es tritt auch in anderer Beziehung eher als Bremser in Erscheinung (Fahrzeug-Zulassungen werden infolge immer neuer und kurzfristig eingeführter Vorgaben verzögert und so weiter). Im Falle ländlicher Verkaufsstellen ist das Engagement der Behörde kontraproduktiv. Die Quittung für behördliches Kontrollgehabe zahlen wir – die Kunden der Eisenbahn.
Pikant: Wer sich nolens-volens im Internet um einen Fahrschein bemüht, ist für Fehleingaben und falsches Heraussuchen selbst verantwortlich. Und noch pikanter: Im Fernbusbereich wird überhaupt nicht kontrolliert, was angeboten und was verkauft wird…
Kunden, die den Bahnhof Walkenried in letzter Zeit telefonisch zu erreichen versuchten, werden es bereits bemerkt haben: Das bisherige „Servicetelefon“, welches den Bahnhof mittels Vorwahl von Nordhausen mit der Außenwelt verbunden hat, gibt es nicht mehr. Es wurde von der Deutschen Bahn ohne Vorankündigung und ohne Ersatz abgeschaltet. Kunden, die eine Auskunft wünschen oder aber einen Fahrschein erwerben wollen, müssen dies daher durch persönliches Erscheinen am Schalter regeln. Seit Januar gelten neue, spürbar eingeschränkte Öffnungszeiten:
Eine Gewähr für diese Öffnungszeiten kann nicht übernommen werden. Wird ein Fahrdienstleiter ohne Kenntnis am Verkaufsterminal eingesetzt, ist der Fahrkartenverkauf trotz geöffneten Bahnhofs nicht möglich.
Fahrscheine der Deutschen Bahn, Ländertickets sowie Fahrscheine des Verkehrsverbundes VSN gibt es ohne Einschränkungen am Automaten vor dem Bahnhofsgebäude. Auskünfte können sich des Internets mächtige Kunden unter http://www.bahn.de einholen. Dort kann man auch Fahrscheine erwerben und erhält unter der Rubrik www.bahn.de/aktuell bzw. „Pünktlichkeit und Anschlusszüge“ auch Auskunft über die aktuelle Betriebslage (Unter „Bahnhofstafel“ bzw. „Abfahrt und Ankunft“ den Bahnhof „Walkenried“ auswählen. Es werden dann die verkehrenden Züge und deren aktuelle Fahrzeiten angezeigt). Alternativ können Sie mit dem Team der „Walkenrieder Nachrichten“ auch einen Beratungstermin am Fahrkartenautomaten des Bahnhofs Walkenried vereinbaren.
Der Bahnhof in Walkenried ist ein in jeder Hinsicht vorbildlicher Verknüpfungspunkt zwischen Bahn und Bus. Wie man diesem Bild entnehmen kann, sind zwischen den Zügen und den Omnibussen keine 20 Meter zurückzulegen, und dies niveaugleich und barrierefrei. Überdachte Wartemöglichkeiten für beide Bereiche und ein täglich besetzter Bahnhof mit Fahrkartenverkauf sowie zahlreiche P&R-Plätze runden das Bild ab.
So schön muss es freilich nicht bleiben. Die Deutsche Bahn schmiedet Umbaupläne, welche in allererster Linie zu einer Verschlankung der Infrastruktur (volkstümlich: zu weniger Weichen) führen sollen und wie bei anderen Stationen wie Gittelde-Bad Grund zu einer eklatanten Verlängerung der Umsteigewege nebst Überquerung verkehrsreicher Straßen führen können. Dies wäre dann der Fall, wenn der Bahnsteig für Züge nach Nordhausen hinter den Bahnübergang (in Richtung des Röseteichs) verlegt werden würde. Die Schranke regelt dann den Zugang quasi kostenlos mit. Das Nachsehen hätte der Fahrgast, denn alle hier auf diesem Bilde zu sehenden Kunden hätten nicht mehr 10, sondern etwa 100 Meter zurückzulegen und müssten dabei die von vielen Lkws genutzte Straße nach Neuhof und den P&R-Parkplatz überqueren, um zu den Bussen zu kommen. Umgekehrt würde dies für Fahrgäste vom Bus zum Zug nach Nordhausen gelten.
Diese Verschlechterung der Umsteigesituation muss verhindert werden. Wir wollen kein zweites Gittelde, und wir wollen keine Unfälle beim Überqueren der Landstraße. DB Netz hat sich im Südharz als durchaus zugänglicher und Vernunftargumenten nicht gänzlich abgeneigter Gesprächspartner erwiesen. Hoffen wir, dass es auch in diesem Fall so bleibt und der „Bahnhof der kurzen Wege“ erhalten wird.
Nachdem am 9. November in Berlin dem 25jährigen Jubiläum des Mauerfalls gedacht, und am 11. November zwischen Walkenried und Ellrich die erste Begegnung an der Rotbuche gefeiert wurde, jährt sich heute ein weiteres historisches Ereignis zum 25. Mal: Die Einfahrt des ersten Personenzugs aus Ellrich im Walkenrieder Bahnhof, von der dank Burkhard Breme von der Initiative „Höchste Eisenbahn für den Südharz“ dieses bewegende Video-Dokument existiert.
Im Buch „Der erste Lückenschluss“ erinnert sich Lokführer Horst Waldmann aus Schwiegershausen an die historische Zugabfahrt: „Am Morgen des 12.11. war alles anders. Der Zug wurde so voll, dass ein Durchgehen im Triebwagen von einem Ende zum anderen gar nicht möglich war. Auch in den Führerständen standen die Leute dicht gedrängt. Also musste ich außen herum – und wurde tatsächlich von einem Uniformierten nach meinem Personalausweis gefragt! Dem habe ich geantwortet: Junge, das mit dem Ausweis hat sich ab heute erledigt! Sicher etwas vorlaut und gewagt, aber es kam keinerlei Reaktion. Der Betreffende, soviel habe ich später herausbekommen, war Angehöriger der PKE. Ich drängelte mich zu meinem Führerstand, umringt von begeisterten DDR-Bürgerinnen und -Bürgern, die Aufsicht hob die Kelle, und wir fuhren zwar mit Befehl, aber doch ganz legal mit einem übervollen Zug in Richtung Walkenried ab…“
Das Buch kann bei Interesse hier per E-Mail bestellt werden.