Die vom Klosterschüler Johann Heinrich Hofmann im Jahr 1661 in Celle publizierte und seinem Landesherrn (und Administrator des Klosters) Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg gewidmete Chronik galt nach ihrer Vernichtung in den hannoverschen Bombennächten 1943 als verloren. Lediglich einige Notizen des geschichtlich interessierten Domänenpächters Gustav Schmid aus dem Jahr 1883 hatten sich erhalten. 2002 jedoch stieß Fritz Reinboth vom Walkenrieder Geschichtsverein auf einen Hinweis, wonach sich zumindest eine Teilabschrift der Chronik in der Bibliothek der Martin-Luther-Universität in Halle befinden würde. Bereitwilliges Entgegenkommen der Hallenser ermöglichten dem Geschichtsverein zunächst eine Publikation der lateinischen Originalfassung dessen, was noch verfügbar ist – Hofmann hat von geplanten 10 Bänden nur deren drei fertiggestellt, und von diesen drei Bänden existiert in etwa die Hälfte. So jedenfalls der heutige Stand der Dinge.
Ein Wunsch war es natürlich, die Chronik in die deutsche Sprache zu übertragen und so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Dieser recht schwierigen Aufgabe haben sich der Kölner Altphilologe Karl-Heinz Holtheuer und, dessen Übersetzung um lokale Besonderheiten ergänzend, Fritz Reinboth unterzogen. Das Ergebnis ist eine – um die Schmidschen Fragmente angereicherte – rund 120 Seiten starke Schrift, die als Nummer 53 der Schriftenreihe des Geschichtsvereins im Papierflieger-Verlag Clausthal-Zellerfeld erscheint und heute symbolisch der Museumsleiterin Wendy Eixler als heutiger Hausherrin des Klosters Walkenried übergeben worden ist. Die Schrift ist zum Preis von 10 Euro sowohl im Museumsshop als auch beim Geschichtsverein erhältlich.
Ihr Studium ist, was die Entstehungsgeschichte des Klosters, sein Wachstum und seine 1525 einsetzende Zerstörung betrifft, sehr aufschlussreich und ergänzt die Chroniken von Letzner, Eckstorm und Leuckfeld um einige neue Aspekte. Immerhin war Hofmann ja selber Schüler der damals berühmten Klosterschule und kannte das Kloster im damaligen teilzerstörten Zustand sehr gut. Freilich schreibt Hofmann (der gelegentlich auch als „Hoffmann“ firmiert, so genau nahm man es damals noch nicht) im Stil seiner Zeit, also barock im wahrsten Sinne des Wortes: Weit ausholend, mit recht verschachtelten Sätzen – man muss sich schon etwas konzentrieren. Wer im SMS-Zeitalter groß geworden ist, dem mag allein die einleitende Eloge auf Christian Ludwig als zeitraubend vorkommen. Aber das gehörte damals eben dazu, und ob mancher heutige Smartphone-Dialog gehaltsreicher ist, darüber kann man durchaus philosophieren. Auch geht Hofmann sehr ausführlich auf die vorklösterliche Historie unseres Landstrichs ein, widmet sich unter anderem den vorchristlichen Götzen Crodo und Püsterich, die heute noch in Bad Harzburg und Sondershausen ihr Unwesen treiben. Gleichwohl bietet er uns eine Fülle von Lesestoff zum Kloster – nicht zuletzt auch deswegen, weil er im Unterschied zu anderen Chronisten Zugang zu den Originalurkunden des Klosters hatte.
Schade eigentlich, dass Hofmann nur drei von zehn Büchern fertigstellen konnte. Noch bedauerlicher, dass hiervon wiederum nur gut 50 % überdauert haben. Aber Dank des Engagements des Vereins für Heimatgeschichte sind jedenfalls diese nun dauerhaft der Nachwelt erhalten und bereichern die ja recht umfangreiche Klosterliteratur um ein für jedermann erschwingliches Dokument.
Der Name „Münchhausen“ wird üblicherweise mit dem „Lügenbaron“ in Verbindung gebracht. Wenn nun von einem Münchhausen im Klosterort gesprochen wird, dann muss man keine Bedenken haben, dass im nächsten Augenblick Hans Albers auf einer Kanonenkugel um die Ecke geritten kommt. Obschon dies eine weitere touristische Attraktion wäre! Diese jedoch bleibt Bodenwerder an der Weser weiter allein vorbehalten, denn der oder vielmehr die Walkenrieder Münchhausens entstammen einer anderen, der „weißen“ Linie dieses recht weit verbreiteten Geschlechts, während der große Geschichtenerzähler der „schwarzen“ Linie zuzurechnen ist.
Das alles und mehr hat Fritz Reinboth in Wolfenbüttel und im – sehr gut sortierten – Archiv des Walkenrieder Geschichtsvereins ausgegraben oder, korrekt, wieder erschlossen, denn im Grunde war ja die Existenz des Drosts Heinrich Burchard von Münchhausen in Walkenried ja schon bekannt, aber etwas in den Hintergrund geraten ob all der vielen Promis, die sich einst im Kloster die Klinke in die Hand gaben, Heinrich der Löwe und sein Sohn Kaiser Otto der Vierte vorneweg. Zu Münchhausens Zeit war das Kloster bereits Geschichte, aber sein Wirken in Walkenried wäre ohne dessen Existenz nicht denkbar – das Kloster wirkte ja noch einige hundert Jahre nach und tut es im Grunde bis heute. So eben auch bei ihm.
Der „Klosterhof“ als Dreh- und Angelpunkt
Anlass zur erneuten und vertieften Befassung mit dem „Walkenrieder Münchhausen“ war die Frage, wie alt der „Klosterhof“, heute im Besitz der Familie Nitz, denn nun wirklich ist. Auf dem bekannten Rieseschen Riss des Unterklosters von 1723 ist er unter der Nummer 36 als „Frh. von Munchhausen Hauß“ eingetragen, und dieser – das mit dem Freiherrn-Titel ist übrigens fraglich, da die „weiße Linie“ ihn nicht immer führte – ist auch der Erbauer des heute noch stehenden, allerdings von Werner Emmelmann um eine Veranda ergänzten Gebäudes. Da Münchhausen 1693 als „Drost“ nach Walkenried kam und dort 1717 verstarb, muss es in jener Zeit errichtet worden sein. In dem von ihm selbst erstellten „Erbzinsregister“ des Stiftsamts Walkenried ist es – im Gegensatz zur heutigen Pfarrei – noch nicht erwähnt, so dass man es auf etwa 1711 bis 1717 eingrenzen kann. Der „Klosterhof“ ist also, vom Torbogen und Kloster natürlich abgesehen, fraglos eines der ältesten Gebäude des Ortes. Von der Erwähnung her hat da die „Stiftsschenke“ die Nase vorn, von der vorhandenen Bausubstanz her kommt aber allenfalls noch das Pfarrhaus mit, welches laut Erbzinsregister der Förster Weinschenck erbauen ließ. Sie steht da schon drin, der Klosterhof aber noch nicht. Hotel, also „Klosterhof“ im eigentlichen Sinne, ist es erst seit 1897, als der Müller Christoph Presse es erwarb und entsprechend umbaute. Münchhausen errichtete es als sein Wohnhaus, lange vor dem „Hospital“, welches da erst seit 1750 steht. Das zuvor von ihm genutzte „Herrenhaus“ ist nicht das heutige, erst im 19. Jahrhundert erbaute, sondern dessen Vorgänger, der auf dem heutigen Klostervorplatz gegenüber dem Westportal des Klosters stand und 1857 abgerissen wurde, nachdem der Domänenpächter Paulsen 1855 in das neue Herrenhaus umgezogen war.
Münchhausen – ein kleines Finanzgenie?
Es ist heute „en vogue“, frühere Vorgänge mit heutigen Begriffen zu belegen, um sie anschaulicher zu machen. Das kann man im ZisterzienserMuseum gut beobachten, wo die zisterziensische Klosterfamilie gern als „weißer Konzern“ bezeichnet wird, mit Bilanzen und allem drum und dran. Heinrich Burchard von Münchhausen muss diesbezüglich aber wirklich gut drauf gewesen sein, denn er war 1693 in der Lage, seinem Landesherrn, dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, locker 165.000 Taler für die Wiedereinlösung des Stiftsamts Walkenried aus Gothaischer Verpfändung zur Verfügung zu stellen. Wohlgemerkt: Der Herzog wollte Walkenried wieder einlösen, hatte das Geld aber nicht – Münchhausen hingegen schon! Als „Belohnung“ wurde er, der zuvor Amtmann in Stiege war, Drost, also ebenfalls Amtmann, in Walkenried und blieb es bis zu seinem Tod 1717. Solch eine Drosten- oder Amtmannsstelle muss also finanziell durchaus lukrativ gewesen sein und dem Inhaber einige Einkünfte gesichert haben. Er war auch anderweitig wirtschaftlich aktiv, erwarb in Gatterstädt bei Querfurt zwei große Güter und war auch „Gewerke“, also Teilhaber der Zinnoberzeche in Wieda. Dieses Engagement freilich erwies sich als, neudeutsch formuliert, „Flop“ für ihn wie auch seinen ebenso beteiligten Verwandten, den Kammerherrn Hieronymus von Münchhausen aus Wolfenbüttel.
Münchhausen war zwei Mal verheiratet, seine beiden 1710 und 1716 verstorbenen Gattinnen wurden in Walkenried beigesetzt. Er übrigens auch, und zwar – gegen seinen ausdrücklichen Willen – im Kapitelsaal des Klosters. Aus der ersten Ehe gingen drei Töchter und drei Söhne hervor. Eine verwitwete Tochter von ihm wohnte bis zu ihrem Tod 1742 im „Klosterhof“, eine andere unverheiratete Tochter, Agnes Margarete, von 1730 bis 1756 im Jagdschloss. Die Söhne verschlug es nach Gatterstädt, die Familie ist dort bis 1799 nachzuweisen.
In Walkenried gab es Münchhausens demnach rund 70 Jahre, ganz ohne Pferd am Kirchturm oder sausende Kanonenkugeln. Eine der bekannten faustdicken Lügen kann man aber, quasi als weit gefasstes Erbe der Münchhausen-Sippe, durchaus auf Walkenried beziehen: Die Kunst, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Wäre das nicht ein guter Vorsatz zu Beginn des neuen Jahres 2022? Rat und Verwaltung können sich da in Münchhausens Nachfolge Verdienste erwerben. Das „Unterkloster“ hingegen ist gewiss noch für manche Geschichte gut. Und der Geschichtsverein wird da dran bleiben, ganz sicher.
Der Verein für Heimatgeschichte Walkenried/Bad Sachsa und Umgebung hat sich inzwischen einige Bekanntheit durch die Herausgabe von Schriften zu Themen der Heimatgeschichte erworben. Dabei lösen sich „dicke Wälzer“ und kleinere Hefte, je nach Thema, in bunter Folge ab. Die Nummer 50 der Schriftenreihe wurde für den langjährigen Vorsitzenden und seitherigen Ehrenvorsitzenden Fritz Reinboth reserviert. Nun hat er geliefert und seine Schrift dem Kohnstein bei Nordhausen gewidmet.
Der Geschichtsverein ist auch bekannt dafür, dass er sich um eine objektive, also vom Sponsoring durch die Gipsindustrie und der Propaganda ihrer politischen Unterstützer nicht beeinflusste Darstellung des Südharzer Gipskarstes und seiner jüngeren Geschichte bemüht. Zu den bisherigen vier Heften dieser Reihe gesellt sich nun als Abschluss das Heft über den Kohnstein. „Nachruf auf einen geschändeten Berg“ lautet der von Fritz Reinboth bewusst gewählte Untertitel, denn in wohl kaum einem anderen Höhenzug des Gipskarstes bündeln sich wie in einem Brennglas bemerkenswerte, nun aber den Steinbrüchen und Abraumhalden zum Opfer gefallene Karsterscheinungen und eine ebenfalls weitgehend verschwundene wunderbare Landschaft einerseits und vor nichts zurückschreckendes Profitstreben andererseits, hier noch in trauriger Weise ergänzt durch die Verbrechen des Naziregimes. Dem Gedenken an diese unmenschlichen Geschehnisse verdanken wir, dass am Ende überhaupt noch ein Stück dieses einst ausgedehnten Wandergebietes übrigbleiben wird…
Der Kohnstein aus Richtung Niedersachswerfen (1945). [Bundesarchiv, Bild 146-1992-068-24A / CC-BY-SA 3.0]
Die Gipsindustrie schickt sich an, der schon geschundenen Südharzlandschaft in Niedersachsen und Thüringen den Rest zu geben – Ersatz für REA-Gips muss schließlich her. Dass am Ende nicht viel mehr als Trümmerfelder zurückbleiben, wo früher Karsterscheinungen das Interesse der Besucher weckten, spielt in diesen Überlegungen keine Rolle. Die Generationen nach uns werden einst fragen, warum wir diese einmalige Natur für kurzfristige Gewinne preisgegeben haben. Der jüngste Beschluss des Göttinger Kreistages lässt zwar hoffen, aber die gipsabbauenden Firmen werden nicht aufgeben.
Reinboths Schrift wird die Entwicklung wohl nicht aufhalten – zu sehr sind die Interessen von Industrie und Politik miteinander verwoben. Aber er zeigt, was alles verloren gegangen ist: Aussichtspunkte, Höhlen, Schwinden, markante Bäume… Um die gipsabbauende Industrie nicht zu Unrecht schlimmer Taten zu verdächtigen, stieg der nicht mehr ganz junge Autor sogar noch durch schwer zugängliches Gelände, um am Ende doch festzustellen: Auch die Kunzenhöhle wurde rücksichtslos preisgegeben. Und wer durch die heutige Mondlandschaft des Kohnsteins streift, der merkt, dass alles Gerede von Renaturierung oder gar „schöner als vorher“ nur Blendwerk ist.
Für den Wanderer (noch lassen sich bestimmte Wege ja begehen) und den Geschichtsfreund bietet die 30 Seiten starke Schrift viele Anregungen. Dass man sie nach dem Lesen doch etwas betroffen aus der Hand legt, liegt nicht am Verfasser. Doch ob anderen Bergen ringsum wie Himmelberg, Mühlberg, Himmelreich, Höllstein oder Sachsenstein das Schicksal des Kohnsteins erspart bleibt, hängt am seidenen Faden. So gesehen, sollte der „Nachruf“ zugleich auch ein „Weckruf“ sein, um der weiteren Zerstörung unserer einmaligen Landschaft Einhalt zu gebieten.
Das Heft kostet 5 € und kann beim Verein für Heimatgeschichte bezogen werden. Je nach Corona-Lage und entsprechenden Lockerungen wird es auch im örtlichen Buchhandel angeboten werden. Es ist im Papierflieger-Verlag Clausthal-Zellerfeld erschienen und kann auch über den Verlag bezogen werden.
Sie stehen zumeist wenig beachtet an Straßenkreuzungen, oder sie befinden sich schon gar nicht mehr dort, wo sie eigentlich hingehören: Die alten Wegweisersteine des früheren braunschweigischen Landkreises Blankenburg. Sie sind übrigens dreieckig, im Unterschied zu denen in Preußen. Beide Wegweisersteinarten sind hierzulande aus Nüxeier Dolomit gefertigt worden. Ihnen nachzugehen, hat sich Fritz Reinboth, angeregt durch einen Fund bei Brunnenbachsmühle, vorgenommen und ist dabei auf interessante Details gestoßen.
Im Zeitalter des „Navi“ ist es durchaus spannend, den alten Steinen und ihrer früheren Bedeutung nachzugehen. Der Verein für Heimatgeschichte Walkenried/Bad Sachsa lädt daher zu seiner nächsten Veranstaltung am Mittwoch, den 27.02.2019 um 15:00 Uhr in die Walkenrieder Gemeindebücherei ein. Der Eintritt ist wie immer frei, Gäste sind herzlich willkommen.
Neue Schrift des Vereins für Heimatgeschichte befasst sich mit Luthers Beziehungen zum Südharz
Die sagenumwobene „Lutherfalle“ im Kloster Walkenried ist vielen bekannt, doch mit Martin Luther hat sie nichts zu tun. Wie ist sie trotzdem zu diesem Namen gekommen? Martin Luther soll dem aus Nordhausen stammenden Weggefährten Justus Jonas ein Glas mit einem Sinnspruch geschenkt haben, doch werden bis heute mehrere dieser Gläser als die „echten“ präsentiert. Und schließlich: Im Zusammenhang mit der Beschwerde eines ehemaligen Walkenrieder Mönchs, der zunächst in Ellrich Pastor wurde, dann jedoch verarmte, hat Martin Luther das Kloster Walkenried verflucht und den damaligen Abt Holtegel wüst beschimpft – weitgehend zu Unrecht. Der entsprechende Brief Luthers an Jonas ist ein typisches Luther-Werk, in dem es heftig zugeht. Andere Reformatoren wie Melanchthon haben später versucht, die Wogen zwischen den Beteiligten wieder zu glätten – durchaus mit Erfolg übrigens. Den ihm vom so beschimpften Abt später übersandten Walkenrieder Schafskäse, genannt „Katlenburger“, hat Luther jedenfalls offenbar mit Vergnügen verzehrt.
Der Reformator war in Nordhausen und hat dort gepredigt, Walkenried hat er jedoch nie aufgesucht. Gleichwohl war ihm das immer noch bedeutende Kloster am Harzrand natürlich bekannt. Fritz Reinboth hat die drei oben genannten Sachverhalte untersucht und das Ergebnis nun in einer neuen Schrift zusammengefasst, die der Verein für Heimatgeschichte in seine Schriftenreihe aufgenommen hat und ab heute zum Preis von 5,00 € bei den bekannten Verkaufsstellen in Walkenried und Bad Sachsa sowie im Archiv des Vereins für Heimatgeschichte anbietet. Reinboth räumt darin mit viel Sachkenntnis und Liebe zum Detail, aber auch einem gewissen detektivischen Spürsinn mit Sagen und Gerüchten auf, nicht ohne ihren Hintergrund zu erläutern. Der Verein für Heimatgeschichte leistet mit der Herausgabe einen zwar kleinen, aber doch lokal interessanten Beitrag zur umfangreichen Luther-Literatur dieser Tage.